STATION VOLLERSDORFER STRAßE

VOLLERSDORFER STRAßE

Auf einem Gelände in der Vollersdorfer Straße in Gera befand sich ursprünglich ein Sportkomplex mit verschiedenen Gebäuden und Sporthallen, Internatsnutzung sowie Spielfeldern. Das Hochwasserereignis im Jahr 2013 und die Lage im Erdfallgebiet führten zu einer irreparablen Beschädigung der Anlage und letztendlich zur Nutzungsaufgabe, da die Errichtung eines Ersatzneubaues auf dem Gelände zu teuer war. Die Gebäude sollten abgerissen und die entsiegelten Flächen rekultiviert werden. Letzlich musste aber ein Gebäudeteil im Zuge des Rückbaus erhalten bleiben, da hinter der Blechabdeckung des Flachdaches ein Wochenstubenquartier der Mückenfledermaus (Pipistrellus pygmaeus) nachgewiesen wurde.

Aufgrund der guten und konstruktiven Zusammenarbeit zwischen Projektsteuerung, Bauleitung, Abrissfirma und Unterer Naturschutzbehörde der Stadt Gera konnte der als Wochenstube genutzte Gebäudeteil nicht nur erhalten, sondern auch saniert werden. In die Fassade wurden zudem weitere Quartiere für Fledermäuse und Brutvögel integriert.

Darüber hinaus gelang im Rahmen der Rekultivierung die fledermausfreundliche Umgestaltung des gesamten ca. 1,9 ha großen Geländes:

-Anlage eines Kleingewässers und artenreicher Blühwiesen als Insektenlebensraum und somit als Nahrungsgrundlage für Fledermäuse

-Pflanzung einheimischer Bäume und Sträucher als weitere Insektenlebensräume und zur Orientierung beim Auffinden des Wochenstubenquartiers

Die groben Abrissarbeiten erfolgten ab Februar 2016. Zur Wochenstubenzeit ab Mai konnten dann die weniger störenden Arbeiten durchgeführt werden. Die Mückenfledermäuse waren während der gesamten Baumaßnahmen im Quartier und zogen erfolgreich ihre Jungen auf.

Im Rahmen des Projektes „Walderlebnispfad Gera“ wurden im Jahr 2023 im Gebäudeinneren weitere quartierverbessernde Maßnahmen umgesetzt, z.B. zusätzliche Wohnangebote wie Hohlblocksteine oder Spaltenquartiere errichtet. Zudem soll als Pilotprojekt eine spezielle Konstruktion aus Stahlseilen an der westlichen Außenfassade die Fledermäuse beim Aus- und Einflug vor Beutegreifern wie dem Waldkauz (Strix aluco) schützen. Dieser hatte in den letzten Jahren bereits nachweislich vor allem die noch unerfahrenen Jungtiere beim nächtlichen Schwärmen erbeutet. Zur Erfolgskontrolle der Maßnahme wurde im Mai/Juni 2023 ein täglicher Livestream eingerichtet, bei dem man die Fledermäuse beim Ein- und Ausflug sowie beim Schwärmen vorm Gebäude beobachten konnte. Die Videos sind auf dem Youtube Kanal der Natura 2000-Station „Osterland“ zu finden.

DIE MÜCKENFLEDERMAUS

Die Mückenfledermaus ist eine „Zwillingsart“ der Zwergfledermaus (Pipistrellus pipistrellus) und konnte erst im Jahr 1997 molekulargenetisch von dieser als eigenständige Fledermausart unterschieden werden. Sie ist die kleinste Fledermausart in Deutschland.

WOCHENSTUBE

Bei den Fledermäusen ist die Wochenstube ein Quartier, wie beispielweise eine Baumhöhle oder Gebäudespalte, ein Dachboden oder Fledermauskasten, in dem sich die trächtigen Weibchen zusammenfinden, ihre Jungen gebären und gemeinsam aufziehen. Als Wochenstube wird aber auch die Gemeinschaft der trächtigen Fledermausweibchen bzw. der Mütter mit ihren Jungen bezeichnet.

Die Jungtiere werden im Juni geboren und mit Muttermilch ernährt, da Fledermäuse Säugetiere sind. Gehen die Mütter auf nächtliche Jagd nach Insekten, müssen die Jungtiere allein im Quartier zurückbleiben. In kühlen Nächten drängen sie sich ganz dicht aneinander, um sich gegenseitig zu wärmen (soziale Thermoregulation). Manchmal wird das Quartier auch gewechselt, dann saugen sich die Jungen an der Zitze der Mutter fest und werden von ihr im Flug mitgenommen. Nach 4 bis 6 Wochen sind die Jungen bereits flügge. Das heißt, sie müssen fliegen können, ihre Nahrung (Insekten) selbst fangen und den Heimweg in das Quartier wieder finden.

In der Vollersdorfer Straße konnten schon über 1.000 Tiere - Mütter und flügge Junge, bei Ausflugszählungen erfasst werden. Meist befinden sich zwischen 150 und 400 Tiere in der Wochenstube.

Das Quartier gehört zu den wenigen bisher in Thüringen bekannten Fortpflanzungsstätten der Mückenfledermaus.

Weiterführende Links:

    gera forest

    Gelände in der Vollersdorfer Straße im Jahr 2022 (Foto: Silvio Heidler)

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    Gelände und Gebäude der Vollersdorfer Straße während der Bauarbeiten im Jahr 2016 mit bereits angelegtem Kleingewässer (Foto: Uta Bergner)

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    Mückenfledermaus (Foto: Uta Bergner)

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