NIEDLICHER PROBLEMBÄR
Der nachtaktive Waschbär (Procyon lotor) mit seinen Kulleraugen und der Zorro-Maske polarisiert wie kaum ein anderes Tier: Während die einen seine vehemente Bejagung und Ausrottung fordern, rechnen ihn die anderen bereits zur heimischen Tierwelt zugehörig und fordern seine Akzeptanz und sein Recht auf friedliche Existenz.
Der größte Vertreter aus der Familie der Kleinbären gilt als intelligent und geschickt. Er kann knifflige Aufgaben lösen und sich sogar einige Zeit danach noch an deren Lösung erinnern. Das verschafft ihm vor allem im urbanen Raum zahlreiche Vorteile bei der Nahrungsbeschaffung oder Quartiersuche.
ER NIMMT, WAS ER KRIEGEN KANN
Mit seinen beweglichen Händen erreicht der Kulturfolger Beute selbst durch engste Öffnungen von Bruthöhlen und Nistkästen. Auf diese Weise erschließt er sich effektiv Nahrungsquellen, die für heimische Beutegreifer entweder nicht oder nur schwer zugänglich sind. Dabei nutzt der Waschbär nicht nur von Vögeln besetzte Quartiere, sondern verursacht auch hohe Verluste bei Fledermäusen.
Waschbären sind anpassungsfähige Allesfresser, d.h. sie ernähren sich von pflanzlicher und tierischer Kost. Die Zusammensetzung unterliegt saisonalen Schwankungen, der Anteil an tierischer Nahrung überwiegt allerdings über das gesamte Jahr deutlich. Insbesondere im Frühling und Sommer gewinnen kleine Wirbeltiere (zu Zeiten ihrer Fortpflanzung und Aufzucht), im Herbst eher fettreiche Nüsse als Nahrung an Bedeutung.
Als sogenannter Nahrungsopportunist holt er sich vor allem das, was er leicht bekommen kann. Gleichzeitig sucht er sich teilweise sehr zielgerichtet Nahrungsobjekte aus, kontrolliert einmal bekannte Bruthöhlen und Nistkästen immer wieder auf Fressbares und kann sich auch auf bestimmte, bevorzugte Beute spezialisieren.
Eine wichtige Nahrungsressource für den Waschbären sind Amphibien, die in Deutschland zu der am stärksten gefährdeten Wirbeltiergruppe gehören. Trotz des hohen Reproduktionspotenzials von Amphibien können lokale Populationen durch den starken Prädationsdruck dauerhaft einbrechen. Besonders kleine Laichgewässer können komplett „geplündert“ werden. Auch suchen die Raubsäuger Amphibienschutzzäune gezielt nach Beute ab. Da Waschbären ebenfalls den Laich fressen, können sie so ganze Amphibien-Populationen auslöschen.
Auch im Siedlungsbereich sind sie nicht gerade wählerisch - plündern hier bevorzugt Mülltonnen und Komposthaufen mit Essensresten.
Selbst hat der Waschbär hingegen kaum Fressfeinde. Ausgewachsenen Tieren können nur Wolf (Canis lupus) und Luchs (Lynx lynx), den Jungen auch Uhu (Bubo bubo) und Fuchs (Vulpes vulpes) gefährlich werden. Der Waschbär ist deshalb in wenigen Jahrzehnten in Deutschland zu einem der Hauptprädatoren für kleine Wirbeltiere aufgestiegen. Akut können dabei die ökologischen Auswirkungen sein, wenn Waschbären in hohen Dichten auftreten oder die Beutetiere in Raum und Zeit konzentriert sind, wie im Bereich kleiner Habitate. Besonders betroffen sind Amphibien, Reptilien, Großmuscheln.
NESTHOCKER
Waschbären haben eine enorme Fortpflanzungsrate, was zu einer kontinuierlichen Erhöhung der Populationsdichte führt. Dadurch können sie auch größere Bestandsschwankungen durch Nahrungsknappheit oder Verluste durch Verkehrsunfälle ausgleichen.
Nach einer Tragzeit von etwa 65 Tagen bringt das Weibchen im Frühling zwei bis fünf Junge zur Welt. Waschbären sind Spätentwickler. Sie haben eine besonders lange Nesthockerphase und verbringen die ersten zwei Monate ausschließlich mit Trinken und Schlafen. Die Welpen werden von ihrer Mutter bis zur allmählichen Trennung im Herbst alleine aufgezogen.
KULTURFOLGER
Der Waschbär ist zunehmend im städtischen Siedlungsraum anzutreffen, wo er viel höhere Populationsdichten erreichen kann als in Waldgebieten. Dabei können Konflikte mit dem Menschen entstehen, wenn er etwa einen Dachboden als Schlafplatz auswählt. Anstatt einzelne Tiere wegzufangen, sollten zur Konfliktvermeidung besser präventive Maßnahmen ergriffen werden.
Waschbären können zudem Träger von Staupe- und Tollwut-Viren sowie dem Waschbärspulwurm sein und diese an (ungeimpfte) Haushunde übertragen.
INVASIVE NEUBÜRGER
Im 19. Jahrhundert wurde der Waschbär in Deutschland zunächst als Attraktion in Tiergehegen und Zoos gehalten. Mit dem Aufbau der Pelztierzucht zu Beginn des 20. Jahrhunderts gelangten Waschbären zunehmend als Gefangenschaftsflüchtlinge in die freie Natur. Um die Jagdstrecke gezielt mit diesem Edelpelztier zu bereichern, wurden im Jahr 1934 zwei Paare am Edersee in Hessen ausgesetzt. Diese Ansiedlung legte den ersten Grundstein für das heutige Waschbärvorkommen in Westdeutschland.
Die zweite Keimzelle entstand durch 25 Farmflüchtlinge, die am Ende des Zweiten Weltkrieges östlich von Berlin entkommen waren und sich etablieren konnten. Von diesen zwei Kerngebieten aus begann sich der Waschbär, unterstützt durch eine Vielzahl weiterer Ausbringungen, nahezu konzentrisch auszubreiten und ist heute in jedem Bundesland zu finden.
LÖSUNGSANSÄTZE
Seit vielen Jahren gibt es kontroverse Debatten über das Ausmaß ökologischer Auswirkungen des ursprünglich aus Nordamerika stammenden Waschbären in Europa. Der Waschbärbestand in Deutschland wurde 2018 auf mindestens 1,3 Mio. Tiere geschätzt, verbunden mit einer kontinuierlichen Erhöhung der Dichte und einer expansiven Areal-Erweiterung. Der aktuelle tatsächliche Bestand dürfte erheblich darüber liegen. Der Waschbär ist damit heute eines der häufigsten wild lebenden Raubtiere.
Aus Naturschutzsicht besitzt der Waschbär auf Grund seiner angepassten und anspruchslosen Lebensweise (vielseitige Nahrungsangebote, wenig Konkurrenz, schnelle Vermehrung) ein erhebliches Gefährdungspotenzial für die biologische Vielfalt in Europa und wird daher als invasive Art bewertet.
Er unterliegt in fast allen Bundesländern dem Jagdrecht und ist fast ganzjährig jagdbar. Eine Verringerung des Bestandes durch Jagd scheint aber meist nicht den gewünschten Erfolg zu bringen.
Wichtiger erscheint es in diesem Zusammenhang, durch gezielte, lebensraumverbessernde Maßnahmen (z.B. Verbesserung des Nahrungsangebotes und Schaffung von Rückzugsbereichen und zusätzlichen Nistplätzen) die heimischen Arten besser zu schützen. Zudem können Hausbesitzer einige Abwehrmaßnahmen ergreifen, um den Waschbär fernzuhalten bzw. ihm den Zugang zu Nahrung und Unterschlupfmöglichkeiten zu erschweren.
Waschbär auf seinem Schlafbaum (Foto: Silvio Heidler)
Waschbär in einer Baumhöhle (Foto: Silvio Heidler)
Waschbär im Gewässer (Foto: Silvio Heidler)